Zugsicherungs-Systeme

Zweck der Zugsicherung

Aufgrund der geringeren Reibung zwischen Eisenrad und Schiene (verglichen mit Gummipneu und Asphalt) ist bei Schienenfahrzeugen nicht nur der Energiebedarf kleiner, sondern auch der Bremsweg um ein Vielfaches grösser als bei Strassenfahrzeugen. Wird ein Halt zeigendes Signal überfahren, ist eine rasche Bremsung nur bei sehr geringen Geschwindigkeiten möglich. Zudem sind die Auswirkungen aufgrund der Anzahl der Passagiere bei Bahnunfällen oft grösser als bei Strassenunfällen. Man hat daher schon früh Methoden gesucht, um bei einer Unachtsamkeit des Lokführers den Zug dennoch mit technischen Mitteln rechtzeitig zu stoppen.


Zugsicherungssysteme bei Schweizer Normalspurbahnen

Zwei Generationen der Zugsicherung
bei Schweizer Bahnen auf einem Bild:
Zugsicherung © Foto-Service SBB
© Foto-Service SBB (SBB-Bilddatenbank)

1. Zugsicherung Typ "Signum"

Zwei braune Zugsicherungsmagnete im und neben dem Gleis.

Signum wird seit Jahrzehnten bei praktisch allen (mehr als zehntausend) Signalen auf normalspurigen Strecken in der Schweiz eingesetzt.

Übertragen auf die Lokomotive bzw. den Steuerwagen werden die Signalbegriffe «Warnung» (am Vorsignal, wenn eine Geschwindigkeitsreduktion notwendig ist) oder «Halt» (am Hauptsignal). Wenn keiner der beiden Signalbegriffe übertragen wird, darf die Fahrt mit gleicher oder grösserer Geschwindigkeit fortgesetzt werden.

Der Signalbegriff Warnung warnt den Lokführer akustisch, zudem muss er mit einer Reaktion innert wenigen Sekunden (z.B. Betätigen der Bremse oder des Totmannpedals) quittiert werden. Zeigt der Lokführer keine Reaktion, wird automatisch eine Schnellbremsung eingeleitet.

Der Signalbegriff Halt führt beim Überfahren des Halt zeigenden Signals sofort zu einer Zwangsbremsung. Bei langsamen Zügen, die erst anfahren oder schon abgebremst haben, kann dies auf der meist kurzen Distanz (in der Regel weniger als 100 m) zwischen Hauptsignal und Gefahrenpunkt (Weiche) für ein sicheres Anhalten reichen, bei schnellen Zügen wird mit diesem System lediglich die Wucht des Aufpralls und damit das Schadensausmass gebremst. Nach mehreren Jahrzehnten Erfahrung mit der ersten Generation der Zugsicherung entschloss man sich deshalb gegen Ende des 20. Jahrhunderts, neue Möglichkeiten der Rechnertechnik zu nutzen und mit moderneren Systemen den Bremsvorgang kontinuierlich zu überwachen.


2. Zugsicherung Typ "ZUB"

ZUB = Zug - Überwachung und -Beeinflussung)

Eine gelbe Gleiskoppelspule im Gleis im Vordergrund.
ZUB wird seit den 1990'er Jahren an mehreren hundert besonders gefährlichen Signalstandorten (vor Einfädel- und Abkreuzpunkten mit grosser Zugdichte) eingesetzt.

Übertragen auf die Lokomotive bzw. den Steuerwagen werden detaillierte Informationen zur zulässigen Geschwindigkeit am Zielsignal und die Distanz bis zum Zielsignal, sodass die Fahrzeugausrüstung die Soll-Bremskurve berechnen und deren Einhaltung durch den Lokführer überwachen kann. Weitere relevante Informationen wie Zuggewicht und Bremsvermögen des Zuges muss der Lokführer vor Fahrtbeginn am Fahrzeuggerät eingeben.

An Stellen, wo das Vorsignal bei der Vorbeifahrt des Zuges häufig noch Warnung zeigt (z.B. bei der Einfahrt in grössere Bahnhöfe oder auf Kreuzungsstationen), kann die Information durch ein im Gleis montiertes Kabel, einen sogenannten «Loop» kontinuierlich auf das Fahrzeug übertragen werden. Der Loop ist allerdings im Bau und Unterhalt aufwändig, insbesondere weil er beim periodischen Stopfen des Schotterbettes beschädigt werden könnte und deshalb aus- und wieder eingebaut werden muss.

Wo kein Loop vorhanden ist, muss der Lokführer sich mit einer Umgehungstaste von der Überwachung «befreien», wenn er am Vorsignal Warnung bekommen hat und das Hauptsignal nachträglich doch noch auf Fahrt wechselt.



2. Zugsicherung Typ "ETCS"

ETCS = European Train Control System (europäisches Zug-Überwachungs-System)

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte jedes Land sein eigenes Zugsicherungssystem. Das Grundprinzip ist bei den meisten Systemen gleich oder wenigstens sehr ähnlich, die Methode der Signalübermittlung auf das Fahrzeug dagegen sehr unterschiedlich. Als nach dem 2. Weltkrieg erste Schritte hin zu grenzüberschreiteden Zügen ohne Lokwechsel gemacht wurden (Trans Europ Express TEE) war der Einbau mehrerer umschaltbarer Zugsicherungssysteme nebst der Umschaltung der verschiedenen Stromsysteme eine grosse und teure Hürde. Es wurden denn auch nur wenige Kompositionen für den grenzüberschreitenden Verkehr fit gemacht.

Man entschloss sich deshalb, für den europaweiten Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes auch ein europaweit einheitliches Zugsicherungssytem zu entwickeln. Zum Zeitpunkt dieses Entscheids waren allerdings die französichen und deutschen Hochgeschwindigkeits- Strecken (TGV und ICE) bereits seit Jahren mit je eigenen, nicht miteinander kompatiblen Zugsicherungssystemen in Betrieb.

Beim ETCS-Zugsicherungssystem werden flache Balisen paarweise im Gleis montiert. Diese Balisen können wie ZUB je nach Anwendungsfall fest programmierte oder durch den Zustand des zugehörigen Signals gesteuerte Telegramme auf das Fahrzeug übertragen. In der Grundausführung (Level 1) entspricht die Funktionalität weitgehend derjenigen von ZUB, die Überwachungsmethode auf dem Fahrzeug würde aber eine lückenlose Ausrüstung von Signal zu Signal voraus setzen. Dies macht für Neubaustrecken durchaus Sinn, ist für eine schrittweise Einführung auf bestehenden Netzen allerdings kaum umsetzbar. Nachträglich wurde deshalb eine abgespeckte Version (Level 1 Limited Supervision) definiert, die wie ZUB die Bremskurve nur zwischen Vor- und Hauptsignal überwacht. Die europaweit notwendige Abstimmung war - wie zu erwarten - ein langwieriger Prozess, der mehrere Jahre Überzeugungsarbeit brauchte.

ETCS sieht weiter einen Level 2 für Hochgeschwindigkeitsstrecken vor. Dabei wird zusätzlich zur punktuell mit den Balisen übertragenen Information der Signalzustand kontinuierlich über Funk auf das Fahrzeug übertragen und auf einem Display angezeigt. Signale werden damit überflüssig, sie wären bei Geschwindigkeiten über 160 km/h ohnehin nicht mehr zuverlässig erkennbar. Eingesetzt wird ETCS Level 2 auf den Neubaustrecken Mattstetten - Rothrist (NBS) und Frutigen - Visp (Lötschberg-Basistunnel), bald auch im Gotthard-Basistunnel.

In Europa gibt es einige weitere Strecken mit ETCS Level 1 und 2. Die Schweiz hat bei der Einführung und Erprobung von ETCS Level 2 eine Pionierrolle gespielt. Wichtige Bahnen wie die deutsche DB und die französische SNCF sind mit der Einführung von ETCS zurückhaltender, weil sie für ihre Hochgeschwindigkeitsstrecken (ICE bzw TGV) bereits nationale, noch aus dem ausgehenden 20. Jahrhundert stammende Zugsicherungs-Systeme betreiben.

Angedacht ist weiter ein Level 3. Dabei sollen in Zukunft die Züge nicht mehr durch die Zuteilung eines ortsfesten Abschnittes von einem Signal zum nächsten gesichert werden, sondern man lässt sie auf Bremsdistanz hintereinander verkehren und verschiebt den Haltepunkt des nachfolgenden Zuges fortlaufend in dem Masse wie der voraus fahrende Zug vorankommt. Bei langen Strecken ohne Kreuzungen könnte auf diese Weise durchaus zusätzliche Streckenkapazität gewonnen werden.

Technische Herausforderungen

Die grösste technische Herausforderung bei der Überwachung der Bremskurve besteht darin, Standort und Geschwindigkeit des Zuges sehr genau zu bestimmen. Dabei gibt es eine lösbare Schwierigkeit: Eisenbahnräder verlieren durch Abnutzung (Abrieb) ähnlich wie Pneus mit der Zeit mehrere Millimeter Dicke der Lauffläche und damit auch Durchmesser. Die Messung der zurück gelegten Strecke wird dadurch verfälscht.

Das Problem ist im Prinzip jedem Autofahrer bekannt: bei der Geschwindigkeitsüberwachung durch Radarkontrollen gibt es oft einen Unterschied zwischen der Anzeige auf dem Tacho und der Messung mit dem Radargerät. Weil bei der Radarkontrolle aber keine Bremswegüberwachung mit Zwangsbremsung durchgeführt wird, löst man dort das Problem nicht technisch, sondern gesteht dem Automobilisten einfach eine Toleranz von 10% zu. Bei Bahnen bedeutet dagegen eine Abweichung von 10% auf den Bremsweg von rund einem Kilometer eine Abweichung von 100 Metern - dies wäre gerade in Bahnhöfen schlicht nicht brauchbar.

Ein auf der Umdrehungszahl des Rades basierender Tacho muss deshalb nicht nur bei der Inbetriebnahme sehr präzise eingestellt, sondern auch im Betrieb nachgeeicht werden. Dies ist dadurch möglich, dass die Strecke zwischen zwei Balisenpaaren konstant bleibt und jedes Balisenpaar dem Fahrzeug auch seinen Standort mitteilt, sodass das Fahrzeuggerät die Tachoinformation aus diesen Distanzangaben nachjustieren kann.